Als Mason-Likar (ML) wird ein vom Standard abweichendes Klebeschema beschrieben, nach dem die Elektroden für ein 12-Kanal-Elektrokardiogramms (EKG) positioniert werden. Wie bei einem Standard-EKG werden zehn Elektroden verwendet, um zwölf Ableitungen zu erhalten. Die drei Elektroden, die gewöhnlich auf dem linken und dem rechten Arm sowie dem linken Fuß positioniert werden, wandern dabei von den Extremitäten auf den Torso. Das ML-System wird in der Regel verwendet, wenn elektrische Störungen durch Körperbewegungen vermieden werden sollen oder wenn die Positionierung an den Extremitäten nicht praktikabel ist.
Das Standard-EKG mit 12 Ableitungen hat sich im Laufe des 20. Jahrhunderts weltweit etabliert und bildet die Grundlage für die Diagnostik von Herzerkrankungen. Das Verfahren wird auch als ‚Goldstandard‘ bezeichnet. Die Interpretation der zwölf nach dem Standardschema ermittelten EKG-Kurven ist Grundlage und wichtiger Bestandteil der internistischen und kardiologischen Ausbildung im Medizinstudium. Ein Großteil der medizinischen Studien und der Fachliteratur bezieht sich auf die nach diesem Schema ermittelten Ableitungen. Daher ist eine exakte Elektrodenplatzierung unerlässlich, wenn das abgeleitete EKG nach den Kriterien des Standard-12-Kanal-EKGs beurteilt werden soll. Die standardisierten Elektrodenpositionen orientieren sich an dem Gesichtspunkt einer möglichst genauen Bestimmung der Erregungspotentiale des Herzens, sind aber zum Teil auch historisch bedingt.
Die weltweit ersten elektrographischen Aufzeichnungen wurden Anfang des 20. Jahrhunderts von Willem Einthoven durchgeführt. Auf ihn gehen die ersten drei Standardableitungen zurück, die aus den Spannungsdifferenzen zwischen rechtem und linkem Arm, rechtem Arm und linkem Fuß sowie linkem Arm und linkem Fuß abgeleitet werden. Um die elektrischen Potentiale des Herzens an der Körperoberfläche messen zu können, entschied sich Einthoven dafür die Arme und das linke Bein in je einen Eimer mit Kochsalzlösung als Konduktor zu tauchen.
Zu den Ableitungen I, II und III kamen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts neun weitere Standardableitungen hinzu: Drei in der Frontalebene (aVR/-aVR, aVL, aVF), die Emanuel Goldberger 1932 mathematisch aus einer Kombination der drei bereits etablierten Kanäle entwickelte. Und 1934 sechs Brustwandableitungen (V1-V6) nach Frank Norman Wilson, die jeweils mit einer weiteren Elektrode bestimmt werden, wobei ein virtueller Messpunkt, der sich aus einer Kombination der drei Fuß- und Armelektroden ergibt, als Vergleichswert dient. Mit insgesamt neun Messelektroden werden somit zwölf Standardableitungen bestimmt. Die zehnte Elektrode dient der Erdung des EKG-Gerätes und nicht der Messung von Potentialen.
Das Klebeschema des Standard-EKGs ist für Ruhe-EKGs konzipiert. Bei Bewegungen des Körpers erzeugen die Muskelkontraktionen elektrische Impulse, die die Kurven der EKG-Aufzeichnung stören und eine Interpretation unmöglich machen können. Solche sogenannten Artefakte treten bei einer Messung an den Armen und dem linken Bein besonders häufig und umfassend auf. Da mit den Elektroden an den Extremitäten der Referenzpunkt für die unipolaren Brustwand-Ableitungen (V1 bis V6) gebildet wird, zeigen sich auch dort gravierende Bewegungs-Artefakte. Für die EKG-gestützte Diagnose von Ischämien und Herzrhythmusstörungen, die bei physischer Anstrengung auftreten, kann es jedoch hilfreich sein, eine Aufzeichnung auch bei körperlicher Belastung bzw. Bewegung der Extremitäten vorzunehmen.
Experimente mit vom Standard abweichenden Klebeschemata wurden deshalb schon Mitte des letzten Jahrhunderts durchgeführt. Dabei gelang es zwar, die Artefakte in den Ableitungen zu reduzieren, aber meist wichen die „Sichtachsen“ auf das Herz so weit vom Standard ab, dass viele der etablierten diagnostischen Regeln nicht anwendbar waren. 1966 stellten Robert E. Mason und Ivan Likar ein angepasstes Anlagesystem für 10 Elektroden vor, das sich in der Folge für Belastungs-EKGs durchsetzte.
Mason und Likar schlugen vor, die Elektroden, die standardmäßig auf den Extremitäten angebracht werden, auf den Torso zu verschieben, um Bewegungsartefakte zu minimieren und dennoch eine Vergleichbarkeit zum Standard-EKG zu gewährleisten. Die Elektrode des rechten Armes (RA) wandert in die Vertiefung unterhalb des Schlüsselbeins (Fossa infraclavicularis) mittig auf der Grenze des Deltamuskels. Die Elektrode des linken Armes (LA) wird analog zu RA auf der linken Seite des Oberkörpers platziert. Die Elektrode des linken Beines (LL) wird auf der vorderen linken Axillarlinie (eine gedachte senkrechte Linie, die vom vorderen Ende der Achselhöhle ausgeht) in der Mitte zwischen dem unteren Ende des Brustkorbs und dem oberen Ende des Beckenknochens angebracht. Die Positionen der Brustwandelektroden bleiben unverändert. Die Erdungselektrode kann beliebig platziert werden und wird meist in etwa analog zu LL auf der rechten Körperseite angebracht.
Das modifizierte Anlageschema mit Torso-Elektroden ist dann von Vorteil, wenn Körperbewegungen die störungsfreie Aufzeichnung eines Standard-EKGs verhindern. Dies ist vor allem bei der Aufzeichnung von Belastungs-EKGs der Fall. Diese werden durchgeführt, da sich einige Herzerkrankungen nur bei körperlicher Aktivität im EKG manifestieren und andere bei körperlicher Aktivität leichter erkannt werden können. Insbesondere die Koronare Herzkrankheit (KHK, auch chronisches Koronarsyndrom) ist im Ruhe-EKG oft nicht nachweisbar. Weitere Anwendungsbereiche liegen in der kontinuierlichen Überwachung von Herzpatientinnen und -patienten im Krankenhaus, der Durchführung von Langzeit-EKGs und der Messung von EKGs in Akutsituationen, in denen es oft nicht möglich ist, die Elektroden an den Extremitäten zu platzieren.
Ein Belastungs-EKG wird in der Regel mithilfe eines stationären Fahrradergometers oder eines Laufbandes durchgeführt. Die fortwährende Bewegung erschwert eine störungsfreie EKG-Aufzeichnung mithilfe des Standardsystems erheblich. ML bietet zudem den praktischen Vorteil, dass keine Kabel zu den Armen und dem linken Fuß geführt werden müssen. In den neueren Leitlinien der European Society of Cardiology tritt das Belastungs-EKG allerdings als Instrument zur Diagnose des chronischen Koronarsyndroms hinter bildgebende Verfahren zurück: Aufgrund seiner geringen Sensitivität - die Wahrscheinlichkeit für einen positiven Befund bei vorliegender Erkrankung liegt bei 58 % - und Spezifität - die Wahrscheinlichkeit für einen negativen Befund bei nicht vorliegender Erkrankung liegt bei 62 % - besitze das Belastungs-EKG für die Diagnose eines obstruktiven chronischen Koronarsyndroms eine geringe Aussagekraft. Dennoch weist die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie in ihrem Kommentar darauf hin, dass die ärztliche Praxis in Deutschland diese Empfehlung auf absehbare Zeit nicht wird umsetzen können, da bildgebende Verfahren einen erheblichen Zusatzaufwand verursachen.
Ein weiterer Anwendungsbereich für Mason-Likar ist das EKG-Monitoring von Herz-Patient*innen mit 12 Ableitungen im stationären Bereich aber auch als Langzeit-EKG. Im Gegensatz zum Belastungs-EKG geht es hier nicht um die Herstellung körperlicher Aktivität, sondern um eine kontinuierliche Überwachung des Herzens. Dennoch ist damit zu rechnen, dass die überwachte Person sich bewegt, was die Verwendung des Standard-Anlageschemas unpraktikabel macht. Zudem ist das Risiko groß, dass Kabel sich verheddern oder Elektroden von den Extremitäten abfallen.
Mithilfe der Ableitungen eines EKG wird die Reizleitung innerhalb des Herzens abgebildet, die mit der Kontraktion des Muskelgewebes korrespondiert. An Ableitung II (Spannungsdifferenz zwischen rechtem Arm und linkem Bein) lässt sich beispielsweise das Reizleitungsgeschehen im unteren Teil der linken Herzkammer beobachten. Gesunde und pathologische Eigenschaften der EKG-Kurven sind für jede Ableitung genau definiert. Wenn Elektroden abweichend vom Standartschema geklebt werden, verschieben sich die Untersuchungsachsen. Die Anwendung von Regeln, die sich auf das Standartschema beziehen, kann dann zu falschen Diagnosen führen.
Eine Vielzahl von Studien hat sich mit den spezifischen Abweichungen von ML-EKGs beschäftigt. Bereits 1987 wurde eine tendenzielle Verschiebung der Achse nach rechts in den Ableitungen der Frontalebene (I, II, III, aVR/-aVR, aVL, aVF) von Kleiner et.al. beschrieben. Diese Achsenverschiebung geht mit der Vergrößerung der Amplituden in den inferioren Ableitungen (II, III, aVF) und Verringerung in den lateralen Ableitungen I und aVL, besonders der R-Zacke in Ableitung I, einher. Gleichzeitig kann es zu einem Verlust der Q-Zacke in den inferioren Ableitungen und in aVL zu neuauftretenden Q-Zacken und einer Inversion der T-Welle kommen.
Auch in den Ableitungen nach Wilson treten Besonderheiten auf, die darauf zurückzuführen sind, dass diesen Ableitungen ein virtueller Messpunkt, der aus RA, LA und LL gebildet wird, zugrunde liegt. In den Ableitungen V1, V2 und V3 kann es zu einer Verringerung der Amplituden der Q- und S-Zacken, in den Ableitungen V3 bis V6 zu einer Vergrößerung der Amplituden der R-Zacke kommen.
Anhand der QRS-Achse wird auf den (elektrischen) Lagetyp des Herzens geschlossen. Dieser beschreibt die Richtung der Erregungsausbreitung im Herzen. Eine starke Rechtsneigung kann als Anzeichen für verschiedene Pathologien (z.B. anterolateraler Infarkt, Septumdefekt) gewertet werden. Eine durch die Messtechnik begründete Rechtsneigung könnte zudem eine tatsächliche Linksneigung des Lagetyps „korrigieren“ und so Pathologien verschleiern (z.B. linksanteriorer Faszikelblock). Die Amplituden der EKG-Ableitungen, und besonders die der R-Zacke sind vor allem in der Diagnostik von Erregungsleitungsstörungen und der Befundung von abgelaufenen Infarkten von Bedeutung. Viele der beschriebenen Besonderheiten eines ML-EKG sind zwar signifikant, können jedoch innerhalb der Grenzwerte für ein unauffälliges EKG liegen und damit als klinisch nicht relevant gewertet werden. Wird aber ein Vergleich zwischen mehreren EKG-Messungen einer Person angestellt und dabei sowohl auf Standard- als auch auf ML-EKGs zurückgegriffen, können diese Besonderheiten als (potenziell pathologische) Veränderungen der Erregungsleitung fehlinterpretiert werden.
Verschiedene Studien belegen, dass die Diagnose auf Grundlage eines ML-EKG zu fehlerhaften Ergebnissen bei der Feststellung beziehungsweise Lokalisation eines Infarktes führen kann. 2008 berichtete eine Studie von dem Fall eines hospitalisierten Patienten mit
kürzlich abgelaufenem Vorderwandinfarkt. Im Monitoring zeigte sich zeitweilig eine Herzrhythmusstörung der Herzkammer. Daraufhin wurde ein EKG nach modifiziertem Schema mit Torso-Elektroden aufgezeichnet, in dem sich deutliche neue ST-Strecken-Hebungen in den inferioren Ableitungen und korrespondierende ST-Senkungen in den Ableitungen aVR und aVL zeigten.
Hieraus ergab sich der dringende Verdacht auf einen akuten inferioren Infarkt. Kurz vor einer Notfall-Angiografie wurde ein weiteres EKG nach dem Standard-Schema aufgezeichnet, bei dem keine neuen Infarktzeichen in den inferioren Ableitungen beobachtet wurden. Der Vergleich zwischen den EKGs beider Anlageschemata wurde nochmals wiederholt: Bei fast identischen Vorderwandableitungen, zeigte das EKG mit Torso-Elektroden St-Hebungen in den inferioren Ableitungen, das EKG mit Extremitäten-Elektroden jedoch nicht.
1989 kam eine Studie zu dem Schluss, dass in 69% der untersuchten Fälle abgelaufene inferiore Infarkte und 31% der posterioren Infarkte im modifizierten EKG nicht erkannt wurden (falsch negativ). Vorderwandinfarkte wurden hingegen in jedem Fall erkannt. Bereits 1987 stellten Papouchado et al. angesichts der hohen Zahl falsch-negativer Befunde für inferiore Infarkte in ML-EKGs die These auf, dass es sich bei den „inferioren“ ML-Ableitungen in Wirklichkeit um modifizierte anteroinferiore Ableitungen handele. Damit wäre ein ML-EKG einerseits ungeeignet für die sichere Detektion inferiorer Infarkte, andererseits könnten die Ischämiezeichen anterolateraler Infarkte in den „pseudo-“ inferioren Ableitungen erscheinen und so wie in der Fallstudie zu falsch-positiven Befunden für inferiore Infarkte führen.
Das heutige Standard-EKG umfasst zwölf Ableitungen, die mithilfe von zehn am Körper angebrachten Elektroden ermittelt werden. Die exakte Positionierung dieser Elektroden an standardisierten Körperstellen ist wichtig für die Vergleichbarkeit der EKG-Aufzeichnungen und deren Auswertbarkeit nach erlernten Merkmalen. Das Standardsystem der Elektrodenplatzierung ist allerdings nur zur Aufzeichnung eines Ruhe-EKGs geeignet, da Bewegungen des Körpers zu elektromagnetischen Störungen in den Ableitungen führen, die das EKG unbrauchbar machen können. Die Positionen an den Armen und dem linken Bein sind besonders anfällig für solche Störungen, weshalb Mason und Likar 1966 ein Klebesystem vorschlugen, dass diese drei Elektroden auf den Torso verlegt. Heute ist das ML-Klebesystem weitverbreitet für die Aufzeichnung von Belastungs-EKGs, im Bereich Langzeit-EKG-Aufzeichnung und der kontinuierlichen Überwachung von hospitalisierten Herzpatienten. Standard-EKG und ML-EKG sind jedoch nicht gleichzusetzen. Im Gegensatz zum Standard weicht ein EKG nach ML in den Amplituden besonders der R-Zacke in einigen Ableitungen und insgesamt in Bezug auf die Achse der QRS-Komplexe ab. Es ist wichtig, diese Besonderheiten bei der Interpretation eines ML-EKG in Betracht zu ziehen und nur EKGs miteinander zu vergleichen, die nach demselben Anlagesystem aufgezeichnet wurden. Die Diagnose inferiorer Infarkte kann durch modifizierte Klebeschemata mit Torso-elektroden erschwert werden. Somit stellt das Klebesystem nach Mason und Likar eine praktische Lösung in Situationen dar, in denen die Aufzeichnung mit dem Standard-Klebesystem nicht möglich ist. Allerdings sollte ML weder unreflektiert noch für die Aufzeichnung klassischer Ruhe-EKGs zum Einsatz kommen.